Mir missfällt es, von einem Schock oder einem Beben zu reden, wenn etwas passiert, was irgendwie erwartbar und wenig überraschen passiert. Die Alternative für Deutschland (AfD) liegt erstmals in Sonntagsfragen als stärkste Kraft vor der Union
Das kam nicht aus heiterem Himmel. Bereits bei der Bundestagswahl im Februar hatte die AfD ihren Stimmenanteil mit 20,8 Prozent gegenüber 2021 (10,3%) verdoppelt und wurde klar zweitstärkste Kraft. Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern etablierte sie sich als dominante politische Kraft. Die Umfragewerte vom April 2025 signalisieren jedoch eine neue Stufe der politischen Realität und werfen drängende Fragen auf.
Dieser Beitrag verfolgt drei Ziele: Erstens schauen wir auf die vielschichtigen Ursachen für den anhaltenden Höhenflug der AfD. Zweitens wagen wir einen Ausblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen im Jahr 2026. Drittens sollen die politischen Themen identifiziert werden, die diese Wahlkämpfe voraussichtlich prägen werden.
Der AfD-Höhenflug
Der Aufstieg der AfD lässt sich nicht auf eine einzige Ursache reduzieren. Vielmehr wirkt ein komplexes Bündel von Faktoren zusammen, die sich gegenseitig verstärken.
Unzufriedenheit mit Parteien & Regierungshandeln
Ein zentraler Treiber für die Stärke der AfD ist die tiefgreifende und weit verbreitete Unzufriedenheit und das sinkende Vertrauen mit den etablierten Parteien und dem Regierungshandeln – sowohl der vormaligen Ampel-Koalition als auch der sich nach der Wahl im Februar 2025 formierenden schwarz-roten Bundesregierung.
Über die Ampel wurde ja schon viel zu viel geschrieben. Nun kommt aus ebenjenem Lager die selbe Kritik der Union unter Friedrich Merz, insbesondere der umstrittene Kurswechsel bei der Schuldenbremse nach der Wahl und der Zick-Zack-Kurs im Umgang mit der AfD.
Diejenigen, die vor der Wahl unter dem Hashtag #MerzKannEsNicht propagierten, scheinen nun Recht zu behalten. Die neue Regierung startet mit einem Klotz am Bein, noch bevor sie so richtig begonnen hat. Es gibt politische Richtungswechsel und eine Menge Streit. In einer Zeit, wo ein Trump wie ein Kleinkind mit der Wirtschaftsmacht USA und damit dem Weltwirtschaftssystem umgeht.
Die AfD profitiert davon. Ein Großteil der Deutschen (85 %) und auch eine Mehrheit der AfD-Anhänger selbst (64%) führt die Stärke der Partei hauptsächlich auf die Unzufriedenheit mit den anderen Parteien zurück. Allerdings wäre es zu sehr verkürzt, die AfD-Wählerschaft ausschließlich als Protestwähler zu betrachten. Der Anteil derer, welche die AfD aus Überzeugung und wegen ihrer politischen Forderungen wählen, wächst.
Das deutet auf eine zunehmende ideologische Verfestigung der Wählerbasis hin, die über situativen Protest hinausgeht. Es ist eine Verschiebung, die es für Parteien schwieriger macht, diese Wähler allein durch bessere Politik zurückzugewinnen, das neue Credo derjenigen, die den Rechtsruck nicht wahrhaben willen. Es spielen auch neue weltanschauliche Themen eine Rolle oder benennen wir es einfach: Faschismus.
Sozioökonomische Ängste
Wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe, dann ist es, das die Wahl einer Partei viel mehr ist, als eine bloße Stimmabgabe, ein Kreuz an einem bestimmten Tag. Es ist ein Lebensgefühlt. Wann immer bei bestimmten Themen die Parteipräferenz abgefragt wurde, so zeigen sich teils kuriose Unterschiede.
Ängste vor wirtschaftlicher Rezession, vor anhaltender Inflation, vor sozialem Abstieg. vor Impfnebenwirkungen, Vertrauensverlust in die Medien, in die Gerichte und in die Politik an sich. All das ist bei Wählern der AfD(und auch des BSW) weit deutlicher ausgeprägt als bei den Wählern anderer Parteien.
Hier zeigt sich auch ein bemerkenswertes Phänomen, das als „AfD-Paradox“ bezeichnet wird: Die politische Agenda der AfD – EU-Skepsis, strikte Asylpolitik, Ablehnung von Klimaschutzmaßnahmen, Forderungen nach Kürzungen bei Sozialleistungen, und und und – würde gerade die eigene Wählerschaft am stärksten negativ treffen. Dass diese Wählergruppen dennoch die AfD unterstützen, deutet darauf hin, dass für die Wahlentscheidung nicht mehr allein rationale Erwägungen ausschlaggebend sind.
Vielmehr hat die Kommunikationsstrategie der AfD, das klassische Täter-Opfer-Retter Dreieck Früchte getragen. Wer der Täter dabei ist, ist beliebig, aber das Opfer ist der deutsche Bürger und der Retter die AfD.
Normalisierung und Enttabuisierung
Ein weiterer Faktor ist die fortschreitende Normalisierung der AfD und die Enttabuisierung rechtsextremer Positionen in Teilen der Gesellschaft. Der Anteil der Wahlberechtigten, die eine Wahl der AfD kategorisch ausschließen, ist in den letzten Jahren deutlich gesunken. Immer weniger Meschen stören sich an den verfassungsfeindlichen Tendenzen innerhalb der Partei.
Bemerkenswert ist die Verschiebung der Selbstwahrnehmung: Eine große Mehrheit der AfD-Wähler (84 Prozent ) verortet ihre Partei inzwischen „in der politischen Mitte und nicht rechts“. Begünstigt wird dieser Prozess auch durch das Verhalten anderer politischer Akteure, wenn diese Narrative oder Positionen der AfD übernehmen und damit zur Enttabuisierung beitragen. Die sinkende Hemmschwelle, die AfD zu wählen liegt an der Normalisierung der Positionen. Und diese hat vor allem die Union(und BSW & FDP) vor der Wahl bedient.
Ostdeutscher Faktor / Jungnazis
Die hohen Zustimmungswerte für die AfD in Ostdeutschland haben komplexe Gründe. Dazu gehören nachwirkende Erfahrungen aus der Wende und eine Veränderungsmüdigkeit. Jedoch der Tenor, dass die AfD ein rein ostdeutsches Phänomen ist, wird durch aktuelle Umfragen ad absurdum geführt.
Besorgniserregend ist auch die wachsende Zustimmung zur AfD auch unter jungen Wählern, insbesondere bei jungen Männern. Hier ist ein Potpourri aus Incels, traditionellem Familienbild und christradikalen vor allem auf Social Media aktiv, um zu erklären, wann ein Mann ein Mann ist.
Blick auf 2026: Die Landtagswahlen in vier Bundesländern
Vor dem Hintergrund lohnt ein Blick auf die vier Bundesländer, in denen 2026 Landtagswahlen anstehen: Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.
Sachsen-Anhalt (ST):
Die Umfragen zeigen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD. Die AfD konnte bei der Bundestagswahl 2025 in Sachsen-Anhalt massiv punkten, profitierte von der Unzufriedenheit mit der Bundespolitik und mobilisierte stark, auch bei jungen Wählern. Das neu angetretene BSW etabliert sich als relevanter Faktor. Die CDU unter Ministerpräsident Haseloff bzw. seinem Nachfolger(noch nicht geklärt) steht unter massivem Druck, die eigene Wählerschaft zu halten und gleichzeitig eine klare Abgrenzung zur AfD zu wahren. Die Ampelparteien SPD und Grüne sowie die Linke sind laut Umfragen stark geschwächt, die FDP kämpft um den Einzug.
Es zeichnet sich ein Patt zwischen CDU und AfD als stärkste Kräfte ab. Eine Regierungsbildung ohne oder gegen die AfD wird extrem schwierig. Sollten AfD und BSW zusammen über 40% erreichen und FDP/Grüne/Linke an der 5%-Hürde scheitern oder nur knapp darüber liegen, könnten stabile Mehrheiten jenseits der AfD mathematisch kaum noch möglich sein. Dies birgt die Gefahr der Instabilität und könnte zu einer Minderheitsregierung oder einer sehr breiten Koalition unter Einschluss des BSW führen, um die AfD von der Macht fernzuhalten. Die hohen AfD-Werte könnten das Land in eine „Unregierbarkeitsfalle“ führen, die die politische Handlungsfähigkeit lähmt und die Demokratie vor Ort unter Druck setzt.
Mecklenburg-Vorpommern (MV):
Die AfD liegt in den Umfragen mit fast 30% klar an der Spitze, während die SPD von Ministerpräsidentin Schwesig massive Verluste hinnehmen muss. Bei der Bundestagswahl 2025 erreichte die AfD hier mit 35% ein Rekordergebnis. Die CDU stagniert auf niedrigem Niveau, das BSW ist auch hier stark. Die Unzufriedenheit mit der Bundespolitik und das Thema Migration dominieren auch hier die Stimmung. Die AfD ist besonders im ländlichen Raum stark.
Die AfD dürfte 2026 mit hoher Wahrscheinlichkeit stärkste Kraft werden. Eine Fortsetzung der SPD-geführten Regierung ist unter diesen Umständen kaum vorstellbar. Die Regierungsbildung wird sehr schwierig. Denkbar wäre eine Koalition unter CDU-Führung (als zweit- oder drittstärkste Kraft) mit SPD und/oder BSW, die sich gegen eine sehr starke AfD-Opposition behaupten müsste.
Baden-Württemberg (BW):
Die politische Landschaft unterscheidet sich deutlich von der in ST und MV. Die CDU liegt in Umfragen klar vor den Grünen, die nach dem angekündigten Rückzug von Ministerpräsident Kretschmann deutlich an Zustimmung verlieren. Die AfD hat sich auf hohem Niveau (um 18%) stabilisiert und ist drittstärkste Kraft, aber weit von den Werten im Osten entfernt. Die SPD bleibt schwach, die FDP muss um den Wiedereinzug bangen. Der Wahlkampf wird voraussichtlich vom Duell der Spitzenkandidaten von CDU (Manuel Hagel) und Grünen (voraussichtlich Cem Özdemir) geprägt sein.
Ein Machtwechsel ist wahrscheinlich. Die CDU hat gute Chancen, stärkste Kraft zu werden und den Ministerpräsidenten zu stellen. Wahrscheinlichste Koalitionsoptionen sind Schwarz-Grün (mit vertauschten Rollen) oder Schwarz-Rot. Die AfD wird als starke Oppositionskraft im Landtag bleiben, aber keine realistische Regierungsoption haben.
Rheinland-Pfalz (RP):
Die Situation ist offener als in BW. CDU und SPD liegen in den Umfragen eng beieinander, wobei die CDU zuletzt leichte Vorteile hatte. Die langjährige Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) tritt nicht mehr an, was die Karten neu mischt. Die AfD verzeichnet massive Zugewinne im Vergleich zur letzten Wahl und liegt bei rund 19%. Grüne, Linke und das BSW könnten ebenfalls in den Landtag einziehen und zu wichtigen Akteuren bei der Regierungsbildung werden. Die FDP ist stark geschwächt. Die bisherige Ampel-Koalition hat keine Mehrheit mehr.
Es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD um Platz eins ab. Die Regierungsbildung wird komplex. Eine Große Koalition wäre eine Option, aber auch Dreierbündnisse unter Einbeziehung von Grünen, Linken oder dem BSW sind denkbar, je nach genauem Wahlausgang. Die AfD wird ihre Position als starke Oppositionskraft ausbauen, aber von einer Regierungsbeteiligung weit entfernt bleiben.
Zwischen Verunsicherung und politischem Wandel
Die Tatsache, dass die AfD im Frühjahr 2025 in bundesweiten Umfragen erstmals zur stärksten Kraft aufstieg, ist mehr als eine Momentaufnahme. Sie ist ein Symptom tiefer liegender Verunsicherungen in Deutschland. Gleichzeitig spiegelt sie aber auch den Erfolg einer Partei wider, die es versteht, diese Stimmungen gezielt zu nutzen, Ängste zu schüren und sich durch eine fortschreitende Normalisierung eine immer breitere Wählerbasis zu erschließen.
Der Blick auf die Landtagswahlen 2026 zeigt, dass Deutschland vor wichtigen Richtungsentscheidungen steht. Insbesondere in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern drohen durch die massive Stärke der AfD schwierigste politische Verhältnisse bis hin zur potenziellen Unregierbarkeit, wenn stabile Mehrheiten ohne oder gegen die AfD kaum noch zu bilden sind.